Edith Russ
Edith Maria Russ, Stifterin und Namensgeberin des Hauses für Medienkunst in der Peterstraße in Oldenburg und »obwohl sie als Nichtmitglied der NSDAP in einer NS-Redaktion saß«
Vor wenigen Wochen wurde aufgrund eines TAZ-Artikels deutlich, dass besagte Dame im Dienst der Oldenburgischen Staatszeitung (1943-1945) nicht nur harmlos-unterhaltsame Kulturartikel verfasst hatte. Die Stadtverwaltung, mit diesen Informationen konfrontiert und um eine Auskunft gebeten, stellte sich tot. Sie kündigte aber zuletzt an, ein Gutachten in Auftrag zu geben. Dessen Ergebnis soll aber erst 2025, im Jubiläumsjahr des besagten Hauses für Medienkunst, vorgestellt – und diskutiert werden.
Mit diesem Vorgehen setzen die Taktiker innerhalb der Verwaltung wahrscheinlich darauf, unter Vorschub des Wunsches nach Gründlichkeit den Rat ruhig zu stellen. Nämlich bevor dieser womöglich doch noch erwacht und den Finger in die offene Wunde legt. Gründlichkeit ist tatsächlich angebracht, nachdem man es mit dieser in der Vergangenheit trotz einer beim Isensee-Verlag zum Verkauf stehenden Publikation offensichtlich nicht ganz so ernst genommen hatte. Oder zumindest die Sensibilität besaß, diese nach einigen Jahren zu überarbeiten. Denn es gab bereits in meiner Zeit als Mitglied des Kulturausschusses (2006-2013) Zweifel an der sorgfältig gepflegten Legende über die großzügige und kunstliebende Pädagogin, die zu ihrem an die Stadt vererbten Vermögen aufgrund ihres Fleißes, aber vor allem ihrer Sparsamkeit gekommen sein soll.
Feuilleton-Chefin beim NS Organ
Ein Teil dieser Erzählung bildete ebenso die Behauptung, sie wäre nie Mitglied der NSDAP gewesen. Oft dann vorgetragen, wenn man auf ihre journalistische Tätigkeit zu sprechen kam.
Zuletzt wurde diese Behauptung in einem Schreiben der Stadtverwaltung an die Ratsfraktionen getätigt: „Sie war nicht Mitglied der NSDAP, was für eine Schriftleiterin im nationalsozialistischen Pressesystem durchaus ungewöhnlich war und entsprechend auch bemerkt wurde.“ Der mitschwingende Zungenschlag: Sie hat sich ihre Eigenständigkeit und damit auch Integrität bewahrt.
Diese nicht verbriefte Tatsachenbehauptung wird mittlerweile von einigen als gesetzt angesehen und so wiedergekaut. Leider auch in der Nordwestzeitung. Eine stichhaltige Quelle sieht anders aus, dachte sich auch Lars, den das Thema nicht mehr losließ. So entschied er sich beim Bundesarchiv in Berlin nachzufragen, das über einen riesigen Fundus an NSDAP-Mitgliedskarteien verfügt.
Sebastian Beer
Bestätigung aus Berlin
Edith Russ (auch Ruß), am 22. Januar 1919 in Hildesheim geboren, wohnhaft in Oldenburg und als Schriftstellerin tätig, beantragte am 21. November 1940 ihre Mitgliedschaft bei der NSDAP. Diese erhielt sie schließlich am 1. Januar 1941, Mitgliedsnummer 8346788. Also noch vor ihrem Dienstantritt als Feuilletonchefin bei der Oldenburgischen Staatszeitung, dem „Verkündungsblatt des Reichsstatthalters, der Oldenburgischen Staatsregierung, der NSDAP und der DAF“.
Es existiert von ihr sowohl die Mitgliedskarte in der Zentralkartei als auch in der Gaukartei.
Eine belegbare Quelle zur Aussage, »obwohl sie als Nichtmitglied der NSDAP in einer NS-Redaktion saß«, existiert hingegen nicht. Auf Seite 26 der von Paula von Sydows verfassten Biographie findet sich mit »Ich wollte immer das Geld für die Allgemeinheit verwenden« die Grundlage für die bisherige Annahme der Nicht-Zugehörigkeit. Ein Zitat, das vom damaligen Hauptschriftleiter der Oldenburger Staatszeitung getätigt wurde, allerdings ohne Quellenangabe.
Auf der Internetseite des Edith-Russ-Hauses ist die Formulierung ähnlich: „Im Gegensatz zu der Biographie Paula von Sydow’s, in der Edith Ruß‘ Tätigkeit für diese Zeitung ebenfalls benannt wurde, sie aber betonte, dass Edith Ruß nie Mitglied der NSDAP war …” (Stand 18.04.2024).
Im November 1943 wechselt der bisherige Hauptschriftleiter Justus Meinardi nach Augsburg. Sein Nachfolger wird Herbert Heitz, bisheriger Hauptschriftleiter beim Wilhelmshavener Kurier.
Wer von beiden Edith Ruß von ihrer Parteizugehörigkeit freispach, weiß wohl nur Frau von Sydow. Es bleibt zu hoffen, dass das 2025 erscheinende Gutachten des Instituts für Geschichte der Universität Oldenburg diese hartnäckige Unwahrheit genau beleuchtet.
Die Möglichkeit einer Recherche der NSDAP-Mitgliederkartei besteht seit 1992/93. In Anspruch nehmen wollte sie bislang offensichtlich kaum einer. Zumindest niemand, der sich vonseiten der Stadt Oldenburg in welcher Form auch immer über Edith Russ Leben, ihr Handeln und die dahinterstehenden Motive äußerte.
Lars Schwarz
Entwicklungen nach unserer Veröffentlichung
Update der Edith-Russ-Haus Webseite: „Deshalb hat die Stadt Oldenburg im März 2024 ein…“ heißt es nun plötzlich und „neuere Recherchen und Hinweise“. Somit dreht die Stadtverwaltung mal eben den zeitlichen Ablauf der Ereignisse um, ohne die Veränderung im Text kenntlich zu machen.
Die Biographie ist im Übrigen ab sofort nicht mehr über die Stadt erhältlich. Nachfragen bei uns gab es übrigens nicht. Die beiden Mitgliedskarten, die uns vorliegen, wollte die Stadt bisher auch nicht einsehen.
Offizielles Statement der Stadt
Am 23.04.2024 veröffentlicht die Stadt über den Bürgerbrief ein Statement. Darin heißt es unter anderem:
„Nachdem am Donnerstag, 18. April, im Internet ein Foto der am 1. Januar 1941 auf Edith Ruß ausgestellten NSDAP-Mitgliedskarte aufgetaucht ist, hat die Stadtverwaltung unverzüglich eine entsprechende Dokumentenauskunft in Sachen Edith Ruß beim Bundesarchiv angefordert. Oberbürgermeister Jürgen Krogmann hat darüber hinaus eine rechtliche Prüfung veranlasst, um zu klären, welche Auswirkungen eine Namensänderung des Medienkunst-Hauses auf die Verwendung der Stiftungsmittel haben würde.“
sowie
„In vollständig digitalisierter Form liegt die NSDAP-Mitgliederkartei über das Bundesarchiv erst seit wenigen Jahren vor. Diese Quelle fand daher in der im Jahr 2000 veröffentlichten Biografie keine Berücksichtigung.“
Seit wann die Kartei in digitalisierter Form vorliegt, ist nebensächlich. Sich darauf zu berufen, dass „daher“ diese Quelle in der Biographie keine Berücksichtigung fand, eine Ausrede. Wie erwähnt besteht die Recherchemöglichkeit seit 1992/1993, Jahre vor der Veröffentlichung der Biographie.
Zwischenzeitlich wurde erneut der Text auf der Webseite des Edith-Russ-Hauses abgeändert. Zum noch ausstehenden Gutachten heißt es nun: „Dabei wird es besonders auch um den Namen der Institution gehen.“.